Ich folgte meinem Mentor. Erst versuchte ich zu ihm aufzuholen, musste mich aber relativ schnell geschlagen geben. Das Kaninchen zwischen meinen Kiefern schliff über den Boden und verhedderte sich. Hin und wieder stolperte ich selbst darüber und landete im Matsch. Daher folgte ich deutlich langsamer seiner Spur. Sie führte mich geradewegs zurück zur Brücke - Was wollte er nur hier? Verwirrt zerrte ich das Nagetier weiter und stockte, als ich meinen Mentor erblickte. Er lag - nein... kauerte - auf dem Boden.
Lautlos näherte ich mich - Meine Ohren schmiegten sich gegen mein dichtes Nackenfell. Ich konnte die kleinen Erdhügel sehen. Gräber. Ich war einfach ein Dummkopf! Ein Mäusehirn, wie es im Buche stand!
Ich ließ das Beutetier einfach fallen. Meinen Mentor so zu sehen... Es brach mir mein Herz. Langsam trat ich zu ihm. Ich sagte nichts, sondern schmiegte mich einfach nur tröstend gegen den gefleckten Kater. Meine Nase drückte sich tief in seinen Pelz und so verblieb ich.
Innerlich... war ich aufgewühlt - Ließ es mir jedoch nicht anmerken. Tausende Fragen schossen durch meinen Kopf und Vorwürfe... - Ich war ein Maulwurf. Eine Blindschleiche. Ich war den ganzen Tag mit ihm unterwegs gewesen! Seine Erschöpfung war mir bis zum Ende nicht aufgefallen! Oder... seine Trauer.

Das dumpfe Geräusch, mit dem etwas auf dem Boden landete, nahm ich gar nicht erst wahr. Auch der warme Pelz, der sich gleich darauf an meinen schmiegte, kam mir so weit entfernt vor dass ich dachte, ich bildete ihn mir nur ein. So reagierte ich erst nach einigen Sekunden Verspätung und richtete langsam meine Ohren auf. "Falken...pfote? Was machst du hier?" War etwas geschehen? Trotz der Rauheit in meiner Stimme hatte sich auch ein leiser Hauch Sorge eingeschlichen und ich drehte den Kopf, um ihn nun meinerseits an sein Fell zu drücken. Die Berührung linderte einen Teil meines Schmerzes wie Balsam, auch wenn es ihn nicht vertreiben konnte. Aber es gelang mir, wieder klarer zu denken, und innerlich rügte ich mich für meine erneute Unachtsamkeit. Wieso hatte ich nicht bemerkt, wie er mir gefolgt war? Ihm hätte sonst was geschehen können... Und auch Nestmaterial hatte ich keines gesammelt, obwohl ich es vorgehabt hatte. Würde ich es denn niemals lernen? Dabei hatte ich mich immer für einen Kater gehalten, der stets Acht gab und sich nicht aus der Ruhe bringen ließ... Aber dieser Verlust war wohl selbst mir zu viel geworden.

"Ich?" Meine Stimme klang überrascht und ich drückte meine Nase tiefer in seinen Pelz, "Ich hole Moos."
Noch immer ließ ich mir von meinem Innenleben nichts anmerken - Ich würde auch nicht darüber sprechen oder diese Maske fallen lassen. "Und ich habe dir ein Kaninchen gebracht!", ergänzte ich und schnippte leicht mit meinen Ohren, "Du hast heute doch heute noch nichts gegessen!" Ich wollte Schattenspiel irgendwie helfen - Vielleicht konnte ich ein paar trübe Gedanken vertreiben und ihm dadurch bei seiner Trauer helfen.
Jetzt blieb ich allerdings wieder still. Ich wollte auch nicht zuviel reden - Er sollte immerhin auch in Ruhe nachdenken können! Das war so schwierig!
Ich kämpfte hier förmlich gegen einen unsichtbaren Feind! Und der spielte mit unfairen Mitteln, denen ich nichts entgegenzusetzen hatte - Trauer und Verlust war ein ernst zunehmender Gegner! Ich brauchte einen Plan! Einen guten Plan!

Dem SternenClan sei Dank. Es war nichts Schlimmes im Lager passiert. Trotzdem müsste ich den jungen Schüler eigentlich dafür rügen, dass er mir einfach gefolgt war, aber das brachte ich nicht übers Herz. Stattdessen genoss ich einfach für diesen Augenblick seine Anwesenheit und schloss sogar die Augen. Das Knurren meines Magens schließlich war es, das mich den Kopf wieder heben ließ. Einen Moment lang noch lag mein Blick auf dem Grab und trübe Trauer senkte sich in meine Augen. "Ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen", murmelte ich, dann erhob ich mich langsam. Es tut mir so unendlich leid... Lehmjunges, Herbstmond, lebt wohl. Innerlich verabschiedete ich mich von ihnen. Ich würde sie immer in meinem Herzen tragen und ihr Verlust würde mir noch weiter zu schaffen machen, doch... Ich hatte mich unbedingt verabschieden müssen. Den Schmerz tief in mir vergrabend stupste ich Falkenpfote kurz mit der Nase an. "Danke, junger Schüler", miaute ich ihm zu und hob den Kopf, um zu dem Kaninchen zu blicken. Dass das Moos nur ein Vorwand gewesen war, war offensichtlich, aber ich ging nicht darauf ein. "Wollen wir uns die Beute teilen, das Nestmaterial holen und dann zurückgehen? Graustern sorgt sich bestimmt schon."

Schattenspiel schwieg. Ich tat es ihm gleich.
Meine Nase drückte sich einfach weiterhin in seinen Pelz, während er sich verabschiedete.
Erst als er mich direkt ansprach brach ich mein Schweigen. "Graustern, Schmauchstern! Der ist doch jetzt nicht wichtig!", erwiderte ich und kniff meine Augen missmutig zusammen, "Wir gehen erst zurück, wenn du bereit bist!" Wenn Graustern ein guter Anführer war, würde er diese Situation verstehen. Mein Mentor trauerte - Er brauchte einfach Zeit. Sollte jemand dies nicht verstehen... er wäre definitiv ein Mäusehirn! Der wäre sogar noch blinder und dämlicher als ich! Und das hieß einiges... "Unser Anführer wird es verstehen! Wir müssen wirklich nicht sofort gehen, wenn du noch ein wenig bleiben willst!" Wenn er es nicht verstand... Ich würde ihm vermutlich mitten ins Gesicht springen. "Ich kann auch alleine das Nestmaterial holen, wenn du ein wenig alleine sein willst! Und die Beute hab ich ganz alleine für dich gebracht!" Ich könnte mir im Lager immer noch eine kleine Maus schnappen. Aber Schattenspiel war erschöpft und bestimmt hungrig. Ihm alleine sollte dieses Kaninchen gehören!

Streng spitzte ich die Ohren und hob den Kopf, schnippte meinem Schüler sachte mit dem Schweif über die Ohren. Nur sanft, aber nicht weniger deutlich. "So solltest du nicht über Graustern reden", maßregelte ich ihn leise. "Er tut, was er kann um seinen Clan zu beschützen, und trauert ebenso um die Verlorenen. Und solange wir noch nicht wissen, wie die anderen Clans auf uns zu sprechen sind, ist jeder Ausflug mit einem Risiko verbunden, das ihm wohl bewusst ist", begann ich zu erklären und ließ meinen Blick kurz über den Grabhügel schweifen. "Deshalb macht er sich um jeden von uns Sorgen und will uns vor Gefahren schützen. Dafür ist die Familie schließlich da." Gegen Ende des Satzes wurde meine Stimme immer leiser und ging in ein Murmeln über, aus dem ich den leisen Schmerz nicht heraushalten konnte. Wäre ich so stark wie Graustern gewesen... Hätte ich die beiden dann schützen können? Leicht schüttelte ich den Kopf und ordnete meine Gedanken wieder. "Es ist schon in Ordnung. Meine Wunden werden mit der Zeit heilen, aber das werden sie auch im Lager... Hier kann ich nichts mehr tun", meinte ich dann noch und stupste Falkenpfote kurz weich mit der Nase an. Ihm hatte ich es wahrscheinlich zu verdanken, dass ich nicht einfach hier sitzen geblieben war und mich von der nächsten Flut hatte forttragen lassen, weil meine Gedanken mich nicht losließen. Schließlich schnupperte ich leicht in Richtung des Kaninchens. Ich hätte genug Hunger, um zwei davon zu verdrücken.

Mein Mentor rügte mich sanft. "Aber die Grenzen sind sicher und keiner war in unserem Territorium!", protestierte ich und blickte dann beinahe trotzig zur Seite, "Außerdem kann das Risiko gar nicht so groß sein! Immerhin hat er einen seiner Krieger vollkommen erschöpft die Grenzen abgehen lassen!" 'Und nebenbei einen Schüler mitgeschickt!' Ungefähr sowas - nur noch mehr - würde ich Graustern wohl auch ins Gesicht klatschen, sollte er meinen Mentor bestrafen wollen.
Bei seinen weiteren Worten protestierte ich dagegen nicht. Ob Schattenspiel hier bleiben wollte oder nicht war seine Entscheidung - Dort wollte ich ihm auch wirklich nicht reinreden. "Bist du dir sicher?", fragte ich trotzdem nach. Nur weil sich Graustern vielleicht mal Sorgen machte, sollte er sich nicht gezwungen fühlen! Trauer war doch etwas wichtiges und man musste den Verlust verarbeiten. Sonst würde sich die Gefühle doch nur aufstauen und einem den Schlaf rauben!
Als er in Richtung des Kaninchen schnupperte, sprang ich zu eben diesem hinüber und schleppte es zu meinem Mentor. "Gehört ganz dir!"

Ich sah Falkenpfote hinterher, während er das Kaninchen zu mir trug, und schüttelte innerlich leicht den Kopf. "Wir sind eben noch nicht viele und die Arbeit muss getan werden, kleiner Sturkopf", miaute ich mit einem leisen, warmen Schmunzeln. "Außerdem habe ich es ja selbst angeboten. Danke für die Frischbeute." Meine Stimme war nicht streng, einfach nur freundlich und ruhig wie immer. Der Schmerz in meinem Inneren würde noch eine Weile bleiben und nie ganz verschwinden, das wusste ich - aber jetzt musste ich mich um die Lebenden kümmern. In diesem Falle darum, dass mein Schüler sich nicht mit Graustern wegen etwas stritt, was mich betraf. Es war gut, wenn er seinen eigenen Kopf hatte, aber den hatte ich auch und das hier betraf mich und nicht ihn. Erst nachdem ich geendet hatte, senkte ich den Kopf und fing an, das Kaninchen zu verspeisen.

"Ich bin kein Sturkopf! Ich bleibe nur bei meiner Meinung!" - Ich und stur? Niemals!
Ich blieb doch nur bei meinen Behauptungen und Aussagen, bis mir jemand eine Bessere präsentierte! Das passierte zwar sehr selten... aber mich gleich als stur zu betiteln? Fragwürdig.
"Nur weil du etwas anbietest, muss er es nicht annehmen!", widersprach ich vehement, "Er ist unser Anführer! Er sollte doch auf uns achten und nicht erschöpften Kriegern die gefährlichsten Aufgaben geben!" Sein Wort war immerhin Gesetz. Er durfte das nicht ausnutzen, sondern musste doch auf seinen Clan achten!
Ich setzte mich gemächlich dicht neben meinen Mentor und ringelte meinen buschigen Schweif um meine Vorderpfoten. "Die habe ich dir doch gerne gebracht!" Schattenspiel hatte das Kaninchen wirklich verdient! "Du bist immerhin der beste Mentor, den man sich nur wünschen kann!"

Schweigend hörte ich meinem Schüler zu und fraß dabei das Kaninchen, ohne den Blick von dem quirligen und redseligen Kater zu nehmen. Erst als ich fertig war und mir die Blutreste von der Schnauze leckte, erhob ich mich wieder, strich dem neben mir sitzenden Falkenpfote kurz mit der Schwanzspitze über die Schulter und zog die Beutereste ein Stück zur Seite, um sie im weichen Untergrund neben dem Fluss - und trotzdem weit genug weg von den Gräbern - zu verbuddeln. Noch immer hatte ich kein Wort gesagt und gesellte mich dann wieder zu ihm. "Jetzt ist Schluss mit der Diskussion", bestimmte ich, konnte ein belustigtes Zucken mit den Schnurrhaaren aber nicht unterdrücken. Wenn ich das jetzt hier nicht beendete, würden wir noch morgen dasitzen und darüber diskutieren - entgegen seiner Behauptung war Falkenpfote praktisch der Inbegriff von Sturheit. Aber das störte mich nicht, ich mochte den Knirps. Er war ein kluger Kopf. Trotz meiner sanften Schelte lag wegen seiner Worte ein warmer Glanz deutlich sichtbar in meinen Augen und ich knuffte ihn noch einmal mit der Pfote an der Schulter, ehe ich in die Richtung nickte, in der das Lager lag. "Danke, junger Schüler. Wollen wir?"

Mein Mentor beendete die Diskussion. Ich konnte das Thema nicht mehr aufgreifen, ohne ihm einen direkten Beweis für meine (nicht existente) Sturheit zu liefern, und ließ es daher sein. "Wir wollten doch noch Moos sammeln, oder?". fragte ich konfus und zuckte leicht mit meiner Schwanzspitze, als Schattenspiel in Richtung des Lagers nickte.
Tatsächlich sollte ich sogar wirklich welches mitbringen. Vorwand hin oder her. Immerhin sollten wir ein neues Nest im Schülerbau bauen und nachdem es schön kuschelig sein sollte, würde das gesammelte Moos von Goldpfote vielleicht nicht reichen. Sie wusste davon schließlich noch gar nichts - Außer Graustern hatte ihr inzwischen davon erzählt. "Ich brauche noch etwas für den Schülerbau!", ergänzte ich daher laut und kratzte mich genüsslich unterm Kinn.

"Richtig", bestätigte ich belustigt und zuckte kurz mit dem Schweif, bevor ich mich gemächlich vom Fluss entfernte. "Aber hier direkt am Fluss werden wir nichts finden, sondern erst dort vorne bei den Bäumen in dem kleinen Wäldchen dort - und das liegt ja auf dem Weg, nicht wahr?", wies ich den jungen Kater sachte darauf hin, dass ich es nicht vergessen hatte. Wenn hier größere Felsen gelegen hätten, wäre das etwas anderes - aber die einzigen Steine waren gerade mal Pfotengroß und es war viel zu wenig vor Licht geschützt für Moos. Und ich wollte nicht unbedingt unter die Brücke krabbeln, um bei den Gräbern Moos zu sammeln. "Und vergiss nicht, vorher die Feuchtigkeit gründlich hinauszuschütteln", riet ich Falkenpfote dann noch einmal, ehe ich die Krallen ausfuhr und damit ein wenig Nestmaterial vom nächstgelegensten Baum schabte.

"Warum wächst Moos denn nicht am Fluss?", hinterfragte ich seine Aussage und schüttelte mich kurz, bevor ich mit kleinen Sprüngen zu meinem Mentor aufholte, "Ich dachte Moos wächst vor allem an feuchten Gebieten. Wasser gäbe es am Ufer doch genug!" Wenn ich allerdings genauer darüber nachdachte... Sollte dann nicht alles in Ufernähe von einem dichten Moosteppich bedeckt sein? Während ich über dieses Mysterium grübelte, erreichten wir das kleine Wäldchen und ich lief zielstrebig zu einem der bewachsenen Bäume. Meine Krallen fuhren wirr über die Rinde und rissen einzelne Moosfetzen los, die sanft zu Boden fielen. "Guck mal Schattenspiel!", rief ich erfreut aus und plüschte mein Fell aufgeregt, "Es schneit Moos!"
Ich war nicht sonderlich geübt im Sammeln von Moos. Entsprechend klein waren die Fetzen auch - Dafür waren es viele.

"Das stimmt, feucht genug ist es am Fluss tatsächlich", antwortete ich auf seine Frage und sah belustigt dabei zu, wie der junge Kater unkoordiniert an den Baumstämmen herumkratzte und das Moos herunterfetzte. Währenddessen fuhr ich damit fort, sauber und gründlich das Moos von meinem Stamm herunterzuschaben und es vor meinen Pfoten zu sammeln. "Aber Moos mag es nicht nur feucht, sondern wächst vor allem im Halbschatten. Deswegen findet man es auf Bäumen auch hauptsächlich an der Nordseite - die Seite, auf die das wenigste Licht fällt. Und bevor du dir da hinten noch die Krallen abbrichst, komm her und sieh zu, wie ich das mache", rief ich ihm zu und zuckte amüsiert mit dem Schweif. Der junge Schüler lenkte mich ab und ließ mich einen Teil meines Schmerzes vergessen, und er brachte mich allein mit seiner Begeisterung für alles mögliche und energiegeladenen Art zum Schmunzeln.

"Moos ist ja richtig anspruchsvoll!" Nachdenklich starrte ich die grünen Flocken zu meinen Pfoten an. Wenn Moos wenig Licht braucht... "Wächst es dann in Höhlen? Sind die dann auch so richtig weich und schön ausgepolstert?" Und konnte man dann nicht selbst Löcher graben und Moos züchten? "Warum haben wir denn keine selbstwachsenden Nester? Man kann solche Bedingungen doch sicherlich schaffen, oder?" Dann müsste man nie wieder Nester austauschen! Und bestimmt wären die sogar noch weicher und dichter, als unsere Selbstgebastelten. Das müsste ich mal Graustern vorschlagen! Der wäre davon bestimmt ebenso begeistert, wie ich!
Doch ich fügte mich meinem Mentor und lief zu ihm hinüber. Immerhin waren seine Moosstückchen wirklich größer als meine grünen Schneeflocken. Solange meine Idee nicht angenommen wurde - Ich war felsenfest überzeugt, dass jeder sie lieben würde - sollte ich seine Technik wohl wirklich lernen.