Erst als meine Pfoten sich nicht mehr anfühlten, als würden sie jeden Moment unter mir weg knicken, begann ich mich vom Mondstein zu entfernen. Einen Moment sah ich in die Ferne. Ich sollte die Grenzen abgehen und sie markieren. Mit diesem Gedanken machte ich mich auf den Weg.

--> Flussclan/Windclan Grenze

Ich verlangsamte meinen Schritt und trat schließlich langsam bis zu dem dunklen Höhleneingang. Ich hatte mich von meiner Nase, den Instinkten und dem wenigen, was mir meine Mutter erzählt hatte, hierherführen lassen, und war nun etwas verunsichert. Giftkralle hatte das Lager nicht verlassen, und seinen Beistand hätte ich jetzt gut gebrauchen können - aber ich verstand auch, dass er sich um Heilersachen kümmern musste und mir nicht andauernd die Pfoten halten konnte. Also hatte ich den Weg alleine bestritten, und das würde ich auch weiterhin tun. Tief durchatmend schritt ich hindurch und unterdrückte den kalten Schauder, der mir durch mein Fell rann. Hier war es so kalt... War ich hier wirklich richtig? Verunsichert trugen mich meine Pfoten vorwärts und tiefer in die Höhle hinein, um Kurven, die ich nur dank meiner Schnurrhaare erahnen konnte, und weiter in die eisige Kälte. Ich musste blinzeln, als ich wieder in die Helligkeit trat, und mein Atem stockte bei dem überwältigenden Anblick. Mit weit aufgerissenen Augen musterte ich den Mondstein vor meiner Schnauze. Er war atemberaubend, aber was sollte ich nun tun? Ich kannte die Prozedur nicht, hatte keine Ahnung, wie es funktionierte. Unruhig trat ich von einer Pfote auf die andere, dann meinte ich zu spüren, wie mich kaltes Fell streifte. Erschrocken zuckte ich zurück und schaute mich mit nervös zuckender Schwanzspitze um, konnte allerdings niemanden erkennen. Nur eine leise wispernde Stimme, kaum mehr als ein Hauch, wies mich an, mich an dem Stein schlafen zu legen. Mit aufgeregt schlagendem Herzen tat ich, wie mir geheißen, und legte mich dicht davor, bis meine Nase den kalten Felsen berührte. Augenblicklich driftete ich in den Schlaf ab.

Zögernd blinzelte ich, dann weiteten sich erstaunt meine Augen. Der Mondstein war fort! Aufgeregt schlug mein Schweif hin und her und ich schaute mich um, dann trat eine mir bekannte Katze auf mich zu und ich schaute sie sprachlos an. "Willkommen, Dunkelkralle", miaute Tigerstern und fixierte mich mit einem festen Blick. Nichts mehr hatte sie gemeinsam mit dem gebrochenen und verkrümmten Körper, der auf unserer Lichtung lag, und endlich fand ich meine Sprache wieder. "Tigerstern, du bist hier! Du musst mir helfen, der Clan zerfällt praktisch in seine Einzelteile, habe ich das Gefühl, und ich weiß nicht, was ich machen soll! Ich bin doch selbst nicht im Clan geboren, wie soll ich denn jetzt die Anführerin sein? Du bist viel zu früh gestorben, ich-" Mit einer wischenden Bewegung ihres Schweifes unterbrach sie meinen Redeschwall und trat noch ein wenig näher, bis sich unsere Nasen fast berührten. "Du wirst diese Aufgabe meistern, und wir werden dir dabei helfen. Gemeinsam und mit deiner Hilfe wird der SchattenClan wieder zu alter Stärke finden - wäre ich nicht davon überzeugt, dass du dazu in der Lage bist, hätte ich dich nicht als zweite Anführerin gewählt. Und jetzt hör mir zu", meinte sie und ich nickte stumm, konnte meine Aufregung nicht verbergen und meine Schnurrhaare zitterten. Langsam setzte sich Tigerstern und hob die Stimme. "Ich, Tigerstern, ehemalige Anführerin des SchattenClans, gebe dir nun die ersten vier deiner neuen Leben. Das erste Leben, das Leben der Kraft, verleihe ich dir, damit du jeden Feind bezwingen kannst. Ob innerhalb oder außerhalb, mit dieser Kraft kannst du dich deinen Feinden stellen." Ein Schock durchfuhr mein Fell und ich keuchte atemlos, als das Leben in mich fuhr. Schmerzhaft kribbelten meine Pfoten, aber die getigerte Kätzin war noch nicht fertig. "Mit dem zweiten Leben verleihe ich dir den Mut, der deinem Clan ein Leuchtfeuer sein soll. Die Saat dafür trägst du bereits in deinem Herzen, und hiermit nähre ich ihn, damit du sie anführen kannst. Das dritte Leben ist das des Stolzes. Im Gegensatz zu der Kraft sorgt dieses Leben dafür, dass dein Herz nicht schwankt und dass du den richtigen Pfad unbeirrbar weiterverfolgst. Damit du nie dein Ziel aus den Augen verlierst und deinen Clan mit stolz erhobenem Kopf verteidigen kannst. Und das vierte Leben, das ich dir verleihen kann, ist das Leben der Schnelligkeit. Mit Kraft ist nicht alles getan, und mit diesem Leben kannst du schneller als deine Feinde sein, um den Clan besser schützen zu können." Immer wieder musste ich nach Luft schnappen, nachdem ein Leben in mich gefahren war. Jedes fühlte sich anders an, und jedes tat furchtbar weh, aber es erfüllte mich auch. Tigerstern erhob sich und trat zurück, und die Katze, die jetzt auf mich zukam, kannte ich ebenfalls. Mein Blick wurde traurig. "Silberweiß?" Die Kätzin lächelte mir ein wenig traurig zu und nickte. "Es tut mir so leid, dass ich euch und meine Jungen zurücklassen musste. Bitte sag ihnen, dass ich über sie Wache", miaute sie leise und ich nickte, dann fing auch sie an. "Ich, Silberweiß, ehemalige SchattenClan-Kriegerin und Königin, verleihe dir hiermit das fünfte Leben, das Leben der Liebe. Was vielleicht unpassend wirken mag, wird dir die nötige Stärke verleihen, alle deine Clankameraden zu beschützen, damit niemand ihnen schadet und deinen Clan, deine Familie, ohne Konsequenzen angreifen kann." Ich wappnete mich für den Schmerz, der bei diesem Leben in mich fuhr, und schnappte ob des glühend heißen Stichs in meiner Brust nach Luft. "Dein sechstes Leben wird das Leben der Erkenntnis. Damit du die Wahrheit sehen kannst, wo immer sie dir begegnet; und damit du Lügen durchschauen kannst, wenn sie vor deiner Nase sind." Mit diesen Worten schloss Silberweiß ihr Maul und trat nun ebenfalls zurück. Die dritte Katze, die auf mich zukam, kannte ich allerdings nicht, und verwirrt musterte ich den Kater, nachdem der Schmerz des sechsten Lebens nachgelassen hatte. Still und mit hoch erhobenem Kopf musterte mich der aschegraue Kater. "Dunkelkralle, meine Tochter. Ich bin Schlammpelz, ehemaliger SchattenClan-Krieger. Und auch wenn ich den Clan mit meiner Affäre verriet, der SternenClan hat mich aufgenommen. Nun verleihe ich dir die letzten drei Leben. Das siebte Leben wird das der Treue sein. Damit du meine Fehler nicht wiederholst und deinen Clankameraden treu ergeben bist, denn sie werden dich brauchen. Deine Loyalität soll ein Vorbild sein für sie alle und allen voran für die Jungen, die heranwachsen und zu mutigen und ebenso treuen Kriegern werden. Das Leben der Wärme verleihe ich dir als achtes Leben, damit die kalten Winde dein Herz nicht gefrieren lassen und das Feuer in dir deinen Clan in Zeiten der Not auffängt und wärmt; aber auch, damit es zu einem rasenden Sturm werden kann, der eure Feinde verschlingt. Und das letzte Leben, meine Tochter, wird das Leben der Listigkeit sein. Damit niemand dich täuschen kann und du deine Gegner mit Schläue und List überwältigen kannst. Meine Tochter. Ich bin stolz auf dich, sei dir dessen gewiss. Du hast den Clan gesucht und gefunden, zu dem dein Herz seit deiner Geburt gehörte, und ich bin mir sicher, du wirst die gegebenen Leben weise nutzen." Ein trauriges Maunzen entfuhr mir, als er sich von mir entfernte, und ich meinte, mein Herz müsse zerreißen. Ich erhob mich auf meine zitternden Pfoten und wollte ihm nachlaufen, da trat wieder Tigerstern zu mir. "Dunkelkralle. Mit dieser Zeremonie endet dein altes Leben und du wirst wiedergeboren als Anführerin des SchattenClans. Von nun an wird dein Name Dunkelstern lauten und du wirst die Last deiner Verantwortung tragen müssen. Ich habe dich beobachtet, und ich war mir schon von Anfang an bewusst, dass du es schaffen wirst. Unter deiner Führung und mit der Unterstützung deines Clans wird der SchattenClan wieder wachsen und zu alter Größe gelangen. Vergiss diese Worte niemals! Wir werden dich unterstützen, und du bist nicht alleine!" Die stolze Anführerin hob den Schweif und jaulte die letzten Worten in einer Lautstärke hinaus, die mich zurückstolpern ließ.

Ich atmete schwer, als ich die Augen aufschlug. Das Fell stand mir zu Berge und ich fühlte mich, als könne ich einen ganzen Mond lang schlafen, aber eine Energie pochte durch meinen Körper, die mich aufspringen ließ. Unruhig lief ich auf und ab. Meine Pfoten kribbelten und ich warf einen ehrfürchtigen Blick auf den Mondstein. Mein Atem beruhigte sich und nur noch mein Schweif pendelte hin und her, dann drehte ich mich um und preschte aus der Höhle, zurück zu meinem Clan.

--> SchattenClan-Lager